Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Gruppenaktivitäten wirksamer gegen Einsamkeit sind, als Einzelaktivitäten. Aus psychologischer Sicht beruht dies darauf, dass Gruppenaktivitäten den TeilnehmerInnen die Möglichkeit bieten, ein Gefühl „identitätsbasierter Verbundenheit“, also eine gemeinsame Identifikation mit der Gruppe zu entwickeln (z.B. „wir Verwitweten“ oder „wir Pflegebedürftigen“).
10 allgemeine Tipps gegen Einsamkeit
- Wenn du dich sozial isoliert fühlst, trete einer Gruppe bei.
- Wenn es geht, werde Mitglied in mehr als einer Gruppe.
- Konzentriere dich dabei auf Gruppen, die dir gut tun, besonders, wenn du durch schwierige Zeiten gehst.
- Wenn du den Kontakt zu einer wichtigen Gruppe verlierst, suche dir eine neue.
- Investiere deine Zeit in Gruppen, die dir wichtig sind und die dich wertschätzen.
- Halte Abstand zu Gruppen, die dir physisch oder psychisch schaden.
- Lass dich von deinen Gruppen unterstützen, unterstütze aber auch selbst andere in deinen Gruppen.
- Siehe ein, dass es manchmal besser ist benachteiligte und stigmatisierte Gruppen zu verlassen, während es zu anderen Zeiten gesund sein kann, bei Mitgliedern solcher Gruppen zu bleiben.
- Wehre dich gegen das Stigma und die Benachteiligung, die für Gruppenmitglieder Nachteile produziert.
- Wenn du gesundheitliche Probleme hast, suche professionelle Hilfe, idealerweise von einer Stelle, mit der du dich identifizierst.
Eine Gruppe australischer ForscherInnen hat aus diesen Erkenntnissen der psychologischen Grundlagenforschung eine Vorlage für wirksame, gruppenbezogene Maßnahmen gegen Einsamkeit entwickelt. Das Programm „Groups 4 Health (G4H) besteht aus fünf Modulen, anhand derer wirksame Ideen entwickelt werden können. Jedes Modul stellt einen zeitlich abgegrenzten Prozess dar.
Das erste Modul, „Schulung“ (SCHOOLING), zielt darauf ab, das Bewusstsein für den Nutzen der Mitgliedschaft in sozialen Gruppen zu erhöhen.
Das Ziel des zweiten Moduls, „Anwendungsbereich festlegen“ (SCOPING), besteht darin TeilnehmerInnen zu ermutigen, über ihre eigenen gruppenbasierten sozialen Ressourcen nachzudenken.
Das dritte Modul, „Bezugsquellen finden“ (SOURCING), fokussiert darauf, die existierenden persönlich bedeutsamen sozialen Identitäten zu finden, damit die TeilnehmerInnen sie auch längerfristig nutzen können.
Das vierte Modul, „Gerüst errichten“ (SCAFFOLDING), zielt darauf ab, den TeilnehmerInnen Fähigkeiten und Strategien zu vermitteln, die sie brauchen, um neue soziale Beziehungen aufzubauen.
Das fünfte und letzte Modul, „Erhalten“ (SUSTAINING), findet mindestens einen Monat später statt. Sein Hauptziel besteht darin, eine Plattform zur Bearbeitung von Schwierigkeiten/ Problemen zu liefern, mit denen TeilnehmerInnen konfrontiert wurden, während sie versuchten, ihre Pläne umzusetzen, Mitglieder in neuen Gruppen zu werden, bzw. alte Gruppenmitgliedschaften zu reaktivieren.
Wenn Sie mehr über den Inhalt, die Hintergründe und die Befunde erster Wirksamkeitsstudien des gruppenbasierten Interventionsprogramms Groups 4 Health (G4H) erfahren wollen, lesen Sie bitte hier weiter:
[section=Eine Blaupause zur Entwicklung gruppenbasierter Interventionen zur Reduktion von Gefühlen der Einsamkeit und sozialen Isolation]
Eine zentrale Erkenntnis aus den Meta-Analysen zur Wirksamkeit von Interventionen zur Reduktion von Gefühlen der Einsamkeit und sozialen Isolation lautet: Gruppenbasierte Interventionen sind wirksamer als individuenbasierte Interventionen. So berichten Masi et al. (2011) in ihrer Meta-Analyse, dass über das ganze Altersspektrum hinweg gruppenbasierte Interventionen zu signifikanten Verbesserungen führen (k = 14; M ES= 0.53; p <.01), während individuenbasierte Interventionen keinen signifikanten Effekt haben (k = 4; ES = – .16; p >.3).
Warum sind gruppenbasierte Interventionen besonders wirksam, um Gefühle von Einsamkeit und soziale Isolation zu reduzieren? Forscher (z.B. Haslam, Haslam, Jetten, Bevins, Ravenscroft, & Tonks 2010; Haslam, Jetten, Haslam, & Knight 2012) sehen besonders drei Faktoren, die gruppenbasierte Interventionen wirksam machen:
- Gruppen stellen einen guten Kontext für die Kommunikation und den Austausch mit anderen dar, die ähnliche Probleme haben bzw. auf ähnliche Ziele hinarbeiten.
- Gruppen liefern einen idealen Kontext, um für soziale Interaktion relevante Fähigkeiten zu entwickeln und zu testen.
- Gruppen liefern Menschen eine soziale Umwelt, die sie bei der Bewältigung von Alltagsproblemen unterstützt.
Aus psychologischer Sicht ist jedoch wichtig zu beachten, dass nicht die Gruppe an sich der zentrale Wirkmechanismus ist, sondern die heilsame Wirkung von Gruppen auf der sozialen Identifikation beruht, die Menschen dann entwickeln, wenn Gruppen ein wichtiger Teil ihres Selbstkonzepts werden: Gruppenaktivitäten liefern TeilnehmerInnen gute Möglichkeiten, ein Gefühl dieser identitätsbasierten Verbundenheit mit anderen zu entwickeln. Die Funktion der eben diskutierten drei Faktoren besteht also darin, dass sie Menschen helfen ein Gefühl sozialer Identifikation zu entwickeln (siehe z.B. Postmes, Haslam, & Swaab, 2005). Aus angewandter Sicht lassen sich die praktischen Konsequenzen psychologischer Grundlagenforschung zum Zusammenhang von sozialer Identität und Gesundheit so zusammenfassen:
- Wenn du dich sozial isoliert fühlst, trete einer Gruppe bei.
- Wenn es geht, werde Mitglied in mehr als einer Gruppe.
- Konzentriere dich dabei auf Gruppen, die dir gut tun, besonders, wenn du durch schwierige Zeiten gehst.
- Wenn du den Kontakt zu einer wichtigen Gruppe verlierst, suche dir eine neue.
- Investiere deine Zeit in Gruppen, die dir wichtig sind und die dich wertschätzen.
- Halte Abstand zu Gruppen, die dir physisch oder psychisch schaden.
- Lass dich von deinen Gruppen unterstützen, unterstütze aber auch selbst andere in deinen Gruppen.
- Siehe ein, dass es manchmal besser ist benachteiligte und stigmatisierte Gruppen zu verlassen, während es zu anderen Zeiten gesund sein kann, bei Mitgliedern solcher Gruppen zu bleiben.
- Wehre dich gegen das Stigma und die Benachteiligung, die für Gruppenmitglieder Nachteile produziert.
- Wenn du gesundheitliche Probleme hast, suche professionelle Hilfe, idealerweise von einer Stelle, mit der du dich identifizierst.
Aus dieser theoretischen Perspektive sollten gruppenbasierte Interventionen besonders die Entwicklung von sozialen Identitäten (z.B. „wir Verwitweten“ oder „wir Pflegebedürftigen“) fördern, die Menschen teilen können, die mit Einsamkeit und sozialer Isolation als gemeinsamer Bedrohung konfrontiert werden.
Groups 4 Health – ein auf der Theorie sozialer Identität basierendes Interventionskonzept zur Reduktion von Gefühlen der Einsamkeit und sozialen Isolation
Eine Gruppe australischer ForscherInnen (z.B. Gilbs, Haslam, Jones, Haslam, McNeill, & Connolly, 2011; Cruwys, Dingle, Haslam, Haslam, Jetten, & Morton, 2013; Cruwys, South, Greenaway et al. 2015) hat versucht, diese Einsichten der psychologischen Grundlagenforschung zum Ausgangspunkt für die Entwicklung wirksamer Interventionen zur Reduktion von Einsamkeits- und Isolationsgefühlen zu machen. Bei der Entwicklung gruppenbasierter Interventionen stehen dabei folgende zwei aus der Theorie abgeleitete Merkmale effektiver gruppenbasierter Interventionen im Mittelpunkt:
(1) Wirksame Interventionen konzentrieren sich auf die Integration von sozialen Gruppenprozessen, den damit verbundenen Kognitionen und Gefühlen der TeilnehmerInnen sowie den daraus resultierenden Verhaltensweisen.
(2) Interventionen konzentrieren sich auf für die TeilnehmerInnen persönlich bedeutsame Gruppenmitgliedschaften.
Das Konzept „Groups 4 Health“ (G4H; Haslam, Cruwys, Haslam, Bentley, Igle, & Jetten, 2016) wurde evidenzbasiert, d.h. auf Grundlage von Ergebnissen aus mehreren sorgfältig evaluierten Gruppeninterventionen entwickelt. Diese Interventionen zielten alle darauf ab, durch den Aufbau sinnvoller sozialer Identitäten bei vulnerablen älteren Erwachsenen das Gefühl sozialer Verbundenheit und das Wohlgefühl zu verbessern. Das aus diesen Erfahrungen resultierende G4H Interventionskonzept besteht aus den in der Abbildung 1 dargestellten fünf Modulen – den 5 S.

Groups 4 Health (G4H) ist eine Manual-gestützte (d.h. genau spezifizierte), theoretisch auf dem sozialen Identitätskonzept aufbauende Intervention, die auf den Erhalt bzw. die Neubildung von Gruppenmitgliedschaften zur Unterstützung von Gesundheit und Wohlbefinden fokussiert.
Zusammen zielen die Module darauf ab, Menschen das Wissen und die Fähigkeiten zu vermitteln, nicht nur das Wesen und die Bedeutung ihrer sozialen Identitätsquellen zu verstehen, sondern diese Quellen über einen längeren Zeitraum effizient zu nutzen bzw. sorgsam mit ihnen umzugehen. Das Programm ist in einem Manual dokumentiert, das ProgrammnutzerInnen in den theoretischen Hintergrund einführt, die Ziele des Konzepts erläutert, und detaillierte Anweisungen zur Programmdurchführung gibt (Haslam, Cruwys, Haslam et al. 2016).
Das erste Modul des G4H Konzepts, SCHOOLING (Deutsch: Schulung), zielt darauf ab, das Bewusstsein für den Nutzen der Mitgliedschaft in sozialen Gruppen zu erhöhen. Das Modul betont auch die Wichtigkeit, Menschen zu befähigen, selbst Verantwortung für ihre Gesundheit zu übernehmen. Dazu sollen Menschen befähigt werden, Schritte zur Verbesserung ihrer Gesundheit zu unternehmen, in dem sie daran arbeiten, gruppenbasierte soziale Ressourcen zu entwickeln, zu erhalten und zu nutzen.
Das Ziel des zweiten Moduls, SCOPING (Deutsch: Anwendungsbereich festlegen), besteht darin TeilnehmerInnen zu ermutigen, über ihre eigenen gruppenbasierten sozialen Ressourcen nachzudenken. Dazu kann die Methode des Sozialen Identitäts-Mappings genutzt werden. Diese graphische Methode hilft Menschen eine visuelle Repräsentation ihrer sozialen Gruppen zu erzeugen, die ihre existierenden sozialen Identitäten und deren Beziehungen verdeutlicht (Cruwys, Steffens, Haslam, Haslam, Jetten & Dingle, 2016). Das Visualisieren der eigenen sozialen Identitäten liefert den TeilnehmerInnen ein Mittel, Einsicht in ihr derzeitiges soziales Funktionieren zu bekommen und eine Grundlage zu legen, damit dass sie das weitere Programm persönlich nutzen können.
Das dritte Modul, SOURCING (Deutsch: Bezugsquellen finden), fokussiert darauf, die existierenden persönlich bedeutsamen sozialen Identitäten zu erhalten, damit die TeilnehmerInnen sie auch längerfristig nutzen können. Vor dem Hintergrund dieses Ziels hilft das Modul Menschen dabei, Strategien zu erkunden, mit denen sie wieder an alte Netzwerke anknüpfen können, zu denen sie in den letzten Jahren den Kontakt verloren haben.
Das vierte Modul, SCAFFOLDING (Deutsch: Gerüst errichten), zielt darauf ab, den TeilnehmerInnen Fähigkeiten und Strategien zu vermitteln, die sie brauchen, um neue soziale Beziehungen aufzubauen. Faktisch stellt ja die G4H- Gruppe einen Gruppenkontext dar, in dem diese Fähigkeiten modellhaft entwickelt und getestet werden können. Ein wichtiges Ziel ist hier, TeilnehmerInnen zu motivieren, neue Gruppen zu identifizieren, wo sie Mitglieder werden können und einen Plan zu entwickeln, wie sie das anstellen. Das fünfte und letzte Modul, SUSTAINING (Deutsch: Erhalten), findet mindestens einen Monat später statt. Sein Hauptziel besteht darin, eine Plattform zur Bearbeitung von Schwierigkeiten/ Problemen zu liefern, mit denen TeilnehmerInnen konfrontiert wurden, während sie versuchten, ihre Pläne umzusetzen, Mitglieder in neuen Gruppen zu werden bzw. alte Gruppenmitgliedschaften zu reaktivieren. Das Modul lädt die TeilnehmerInnen auch dazu ein, über ihr Wissen und ihre Fähigkeiten zu reflektieren, die sie im Verlauf der vorausgehenden vier Module erworben haben. So soll das längerfristige Verfestigen dieses Wissen und dieser Fähigkeiten gefördert werden.
Empirische Evidenz, dass das G4H Konzept seine Ziele erreicht.
Inzwischen liegen die Befunde aus einer ersten Evaluationsstudie (nicht-randomisiertes Kontrollgruppen Design; Haslam, Cruwys, Haslam et al. 2016) zur Wirksamkeit des G4H- Programms vor. Die TeilnehmerInnen waren Studierende, die jedoch alle angaben, stark an Angst und Depression zu leiden und sich selbst als sozial isoliert beschrieben. Insgesamt nahmen 81 Studierende an dem G4H- Programm teil, von denen 54 alle Sitzungen absolvierten, sowie die Pre- und Post-Test Evaluations-Fragebögen ausfüllten. Die Datenanalyse zeigt eine signifikante Verbesserung der affektiven Symptomatik sowie eine Reduktion des Gefühls sozialer Isolation. Die gemessenen Veränderungen liegen im Bereich kleiner bis großer Effektgrößen (Haslam et al. 2016). Die Programmvalidierung über eine Stichprobe von Studierenden wirft natürlich die Frage nach der Generalisierbarkeit der Befunde auf die breitere Bevölkerung auf. Momentan sind deshalb Studien mit Nicht-Studierenden TeilnehmerInnen im Feld (Cruwys, Haslam, Walter et al., 2019), deren Ergebnisse bald publiziert werden dürften.
Literatur
Cruwys, T., Dingle, G. A., Haslam, C., Haslam, S. A., Jetten, J., & Morton, T. A. (2013). Social group memberships protect against future depression, alleviate depression symptoms and prevent depression relapse. Social science & medicine, 98, 179-186.
Cruwys, T., Haslam, C., Walter, Z. C., Rathbone, J., & Williams, E. (2019). The connecting adolescents to reduce relapse (CARR) trial: study protocol for a randomized controlled trial comparing the efficacy of Groups 4 Health and cognitive behaviour therapy in young people. BMC public health, 19(1), 1-10.
Cruwys, T., South, E. I., Greenaway, K. H., & Haslam, S. A. (2015). Social identity reduces depression by fostering positive attributions. Social Psychological and Personality Science, 6(1), 65-74.
Cruwys, T., Steffens, N. K., Haslam, S. A., Haslam, C., Jetten, J., & Dingle, G. A. (2016). Social Identity Mapping: A procedure for visual representation and assessment of subjective multiple group memberships. British Journal of Social Psychology, 55(4), 613-642.
Gleibs, I. H., Haslam, C., Jones, J. M., Alexander Haslam, S., McNeill, J., & Connolly, H. (2011). No country for old men? The role of a ‘Gentlemen's Club’in promoting social engagement and psychological well-being in residential care. Aging & mental health, 15(4), 456-466.
Haslam, C., Cruwys, T., Haslam, S. A., Dingle, G., & Chang, M. X. L. (2016). Groups 4 Health: Evidence that a social-identity intervention that builds and strengthens social group membership improves mental health. Journal of affective disorders, 194, 188-195.
Haslam, C., Haslam, S. A., Jetten, J., Bevins, A., Ravenscroft, S., & Tonks, J. (2010). The social treatment: the benefits of group interventions in residential care settings. Psychology and aging, 25(1), 157.
Haslam, C., Jetten, J., Haslam, S. A., & Knight, C. P. (2012). The importance of remembering and deciding together: Enhancing the health and well-being of older adults in care. In J. Jetten, C. Haslam, & S. A. Haslam (Eds.), The social cure: Identity, health and well-being (p. 297–315). Psychology Press.
Masi, C. M., Chen, H. Y., Hawkley, L. C., & Cacioppo, J. T. (2011). A meta-analysis of interventions to reduce loneliness. Personality and Social Psychology Review, 15(3), 219-266.
Postmes, T., Haslam, S. A., & Swaab, R. I. (2005). Social influence in small groups: An interactive model of social identity formation. European review of social psychology, 16(1), 1-42.
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